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23.03.2004

Das Rätsel um das große „L“

Kantoreiarchiv der Luckauer Nikolaikirche birgt Stadtgeschichte und verblüfft
LUCKAU. „Für mich ist es spannend, aus einem Stück alten Papiers lebendige Musik werden zu lassen.“ Dem, der das am Dienstagabend in der Christuskapelle der Luckauer Nikolaikirche vor vollem Auditorium sagte, glaubt man das unbesehen. Joachim Klebe ist sowohl Kirchenmusiker aus Leidenschaft, Kantor an einer der großen Kirchen der Region und eben auch Forscher in einem Archiv, in dem es viel zu entdecken gibt: Im Kantorei-Archiv eben dieser Kirche. Klebe sprach darüber und über musikalische Schätze, die er zu heben helfen will.

Wer in Luckau Kantor sein durfte, der schrieb auch Stadtgeschichte mit. Namen wie Andreas Müller (Kantor von 1726 bis 1775), Jacob Beutel (er ging 1654 als Kreuzkantor nach Dresden), Johann Christoph Rau benius (wohl im 18. Jahrhundert, Klebe nannte die Amtszeit-Jahreszahlen nicht) stehen für Persönlichkeiten der kirchenmusikalischen Welt ihrer Zeit, die sich die Luckauer Herrschaft leistete und davon bis heute profitiert.

Von Raubenius, der zuvor Kantor in Dahme war, sind 49 Einzelhandschriften im Archiv erhalten. Seine Kantate „Danket dem Herrn“ führte die Kantorei unter großer Beachtung zur Landesgartenschau nach langer Zeit wieder auf. Klebe ermöglichte das auf der Grundlage seiner Studien im Archiv und der Transkription in heute lesbare Partituren.

Handschriften erkennt der Kenner, aber zuweilen bereiten sie auch Kopfschmerzen. Wie der Schriftenblock mit Kantaten, meist um 1720 datiert, die lediglich mit „L“ gekennzeichnet sind. Klebe trieb es bis in die sächsische Landesbibliothek (Luckau war damals bis 1815 sächsisch), konnte aber nur seinen Verdacht bestätigen, dass das ominöse „L“ für einen Kantor „Lehmann“ stehen könnte – und in der damaligen Zeit gab es als dafür Begabte einen Christian, Gottfried und Matthis.

Die „Psalm-Kantaten“ des Komponisten „L“ – gleich, welcher es nun gewesen sein mag – wurden von Klebe bearbeitet, auf heutige Stimm-Sätze transponiert und etliche davon erfolgreich aufgeführt.

Dem Kantor Karl Paulke (er wirkte in Luckau von 1905 bis 1911) sind die Anfänge eines Katalogs für das Kantorei-Archiv zu verdanken, ohne den bis in die heutige Zeit nur noch wenig geht. Musikalische Abschriften waren seit dem 15. Jahrhundert üblich, war der Buchdruck zu teuer oder nicht möglich, die Musiken sollten in Luckau aber doch erklingen. Also wurde musikalisch kopiert, was nur möglich war. An Archiv-Ordnungen dachte kaum einer. Insofern sieht sich Joachim Klebe heute in mancher Hinsicht auch als künstlerischer Schatzsucher.

Der wurde oft fündig. Obwohl Luckau von etlichen Stadtbränden ereilt wurde, bei dem auch Archive ein Raub der Flammen wurde, ist heute verbrieft, dass es 1654 einen Kantor Jakob Beutel gegeben hat. Kantoren gab es vermutlich schon davor, aber dieses Datum ist dokumentiert. Ein gedrucktes Gesangbuch wird aus dem Jahr 1574 im Archiv datiert. In den 31 handschriftlich Weihnachtskantaten findet man die des als Thomas-Kantors Bach Vorvorgängers Johann Schelle, in dem das Motiv „Von Himmel hoch, da komm ich her“ verarbeitet ist – und wer weiß heute schon, dass Text und Melodie von Martin Luther selbst verfasst sein sollen?

Das und viel mehr findet man im Archiv. Klebe verwies auf fast 350 Handschriften aus mehreren Jahrhunderten, auf die Abschrift einer Kantate des preußischen Hofkomponisten Carl Heinrich Graun, auf zwölf Kantaten Georg Philipp Telemanns sowie auf alte Drucke mit Werken wie der Requien von Mozart und Brahms, Beethovens „Missa solemnis“ und andere Schätze, die gehoben und aufbereitet werden wollen. Klebe und seine Kantorei arbeiten an der Wiederentdeckung solcher Werke. Er versprach Aufführungen noch in diesem und im kommenden Jahr.

(-ds)

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