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17.12.2019
Herzensmensch: Wie eine Langengrassauerin Bewusstsein für Kirchen schafft
Seit mehr als 20 Jahren engagiert sich Annegret Gehrmann ehrenamtlich für die historisch bedeutsamen Dorfkirchen in der Region um Luckau. Dabei hat sie nicht nur die Sanierung der Gebäude im Blick.
Die Sanierung und Restaurierung der Luckauer Nikolaikirche war das erste von Annegret Gehrmann betreute Projekt.
Foto: Birgit Keilbach
Als Pfarrer Frank Gehrmann und seine Frau Annegret 1987 in Langengrassau ankamen, befanden sich viele der zumeist mittelalterlichen Dorfkirchen in einem schlimmen Zustand. Es regnete durch undichte Dächer, an durchfeuchteten Mauern bildete sich Schwamm, Balken waren morsch, Orgeln funktionierten nicht mehr. Die Kirchengemeinden hatten weder Geld noch Material für Reparaturen, an Restaurierung war nicht zu denken.
Heute haben viele der alten Gotteshäuser ihren ursprünglichen Glanz zurück und sind Orte kultureller Begegnungen. Immer mehr Menschen wissen zu schätzen, welch kostbares Erbe ihre Kirche im Ort darstellt. Gäste sind über reichhaltige Ausstattungen erstaunt und lauschen begeistert dem Klang spätromantischer und spätbarocker Orgeln.
Architekturstudium wegen verfallener Innenstädte
Einen großen Anteil daran hat Annegret Gehrmann. Mit großer Leidenschaft arbeitet sie seit mehr als zwei Jahrzehnten beharrlich an der Aufgabe, die Kirchen und deren Ausstattung zu erhalten, zugleich den Menschen den historischen Wert und die religiöse Bedeutung nahezubringen.
Schon als Kind blickte die Pfarrerstochter sonntags im Gottesdienst fasziniert auf einen kunstvollen Schnitzaltar, gefertigt von Peter Breuer, einem der bedeutendsten spätgotischen Bildschnitzer Mitteldeutschlands. Später studierte sie Architektur und Städtebau an der Bauhaus-Hochschule in Weimar. Ursprünglicher Antrieb seien die verfallenden Innenstädte in der DDR gewesen.
Ein Förderkreis statt einzelne Fördervereine
„Doch ich hatte schon damals die Idee, später in der kirchlichen Denkmalpflege zu arbeiten“, sagt Annegret Gehrmann. Mit einer Stelle wurde es nichts, doch ihr Ziel verfolgte sie weiter. Als die Kinder aus dem Gröbsten heraus waren, absolvierte sie Ende der 1990er-Jahre ein Ergänzungsstudium Denkmalpflege in Dresden. „Ich bekam viele Einblicke in handwerkliche und planerische Aspekte von Restaurierungs- und Sanierungsarbeiten, Bau- und Kunstgeschichte.“ Umsetzen konnte sie diese Kenntnisse schon bei der denkmalgerechten Sanierung der Pfarrscheune in Langengrassau. 1999 brachte Pfarrer Frank Gehrmann mit der Luckauer Kirchengemeinde die Sanierung der Nikolaikirche auf den Weg. Ab 2002 führte seine Frau das Vorhaben mit den professionellen Fachleuten weiter. „Eine prägende und sehr inspirierende Zeit, in der ich sehr viel gelernt habe“, blickt sie zurück. Sie entwickelte die Idee, dass Restauratoren und Denkmalpfleger ihre Arbeit erklären. „Ich finde es wichtig, dass die Leute verstehen, was gemacht wird. Dadurch erkennen sie die Kirchen als ihr Erbe, nehmen sich der Sache an und tragen sie mit.“
Eine Schlüsselfunktion nimmt der Förderkreis „Alte Kirchen der Luckauer Niederlausitz“ ein; von Anfang an als regionales Netzwerk konzipiert. „Es hätte keinen Sinn gemacht, für jede Kirche einen Förderverein aufzustellen. Wir wollten ein regionales, für alle Gemeinden offenes Angebot. „Öffentlich ließ sich so besser vermitteln, dass es in der Region einen großen denkmalgeschützten Kirchenbestand mit riesigem Sanierungsbedarf gibt. „Darum war es wichtig, über die Kirchengemeinden hinaus die Menschen dafür zu gewinnen“, sagt die Vereinsvorsitzende und Geschäftsführerin. Mit 18 Gründungsmitgliedern und 15 dazugehörigen Kirchen sowie dem Kirchenkreis Lübben startete der Förderkreis. Nach anfänglicher Skepsis wuchsen Vertrauen und Verständnis. „Die kleinen Dorfkirchen sind auch ein Ortsgedächtnis, viele Familiengeschichten hängen daran. Kein anderers Bauwerk in den Dörfern bringt dies so konzentriert und noch dazu ästhetisch herüber.“ Heute zählt der Förderkreis 72 Mitglieder, unter ihnen 37 Vertreter von Kirchengemeinden, die mit 56 denkmalgeschützten Kirchen Mitglied sind.
Radtouren als Kirchentüröffner
Parallel zu Sanierungs- und Restaurierungsvorhaben in den Gebäuden entstanden verschiedenste Aktionen. Seit 2002 belebt die Reihe „Musik in den Kirchen der Luckauer Niederlausitz“ die Gotteshäuser. Ein Jahr später starteten die Frühjahrsexkursionen. „Viele Leute betraten damals zum ersten Mal eine Kirche im Nachbardorf.“
Ein ehrenamtlicher Kreis erarbeitete sechs Radtouren-Karten zu den Kirchen rund um Luckau. In der Folge entstanden ab 2006 die geführten Kirchenradtouren im Sommer, stets mit einem Orgelkonzert der Reihe „Mixtur im Bass“ als Abschluss. „Das kommt nach wie vor gut an und lockt viele überregionale Besucher an, auch aus Berlin und Dresden.“ Ausstellungen wurden organisiert, Luckauer Gymnasiasten erkundeten die alten Kirchen, Fotokalender trugen zur Bekanntheit bei. Tagungen und Symposien rückten die Bedeutsamkeit der Luckauer Kirchenlandschaft in den Blickpunkt. „Wir sind schon sehr gut vorangekommen, das Bewusstsein für die kulturhistorische Bedeutung der Kirchenbauten sowie die vielfältigen Ausstattungen zu schärfen“, resümiert die 60-Jährige.
Kirchenführer durch Touristeninteresse beflügelt
Dafür Multiplikatoren zu begeistern ist der jüngste Schritt. Zwei Kirchenführerkurse hat sie mit Kooperationspartnern seit 2016 realisiert. 40 Interessierte bekamen umfangreiches Wissen vermittelt und können jetzt kompetent über ihre Kirche im Dorf oder der Stadt Auskunft geben. Denn das Interesse von Touristen nimmt zu. „Die Kirchenführer waren regelrecht beflügelt von dem, was sie alles erfahren haben, und geben es jetzt begeistert weiter. Dafür lohnt sich dieser große Aufwand“, bilanziert Annegret Gehrmann.
Seit 2012 ist sie zudem ehrenamtliche Kunstgutbeauftragte des Kirchenkreises Niederlausitz. Nachdem zwei Kunsthistorikerinnen alle kunsthistorisch wertvollen Gegenstände in den 135 Stadt- und Dorfkirchen erfasst hatten, übernahm sie die Pflege der Datenbank. Das brachte den Kirchengemeinden neue Impulse. Sie haben jetzt einen Ansprechpartner dafür, wie und wo sie zum Beispiel ihre Abendmahlsgeräte oder Altäre restaurieren lassen können.
von Birgit Keilbach (vollständiger Text unter www.lr-online.de)