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Kulturarbeit
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21.07.2008

Ein beseelter Gesang

LUCKAU. Mit dem sonnabendlichen Konzert in der Luckauer Nikolaikirche hatte es seine besondere Bewandtnis, in mehrfacher Hinsicht. Zum einen ist Luckau dem Publikum und auch den Organisatoren der Brandenburgischen Sommerkonzerte ein besonders lieb gewordener Konzert-Ort. Der lokale Freundeskreis der Sommerkonzerte ist sehr aktiv und versteht es Jahr für Jahr, am Konzerttag in der sehenswerten Kleinstadt im Süden Brandenburgs eine aus dem Alltag herausgehobene Atmosphäre zu schaffen.

Ging Zuhörern und Sängern unter die Haut: der Auftritt des Dresdner Kreuzchores in der Luckauer Nikolaikirche.
(Foto: Hottas)

 

Man kann sich vor dem Musikereignis fachkundig durch den historisch interessanten Ort führen lassen und man kann sich und den Luckauer Gymnasiasten etwas Gutes tun, indem man von ihren Back- und Kochkünsten partizipiert. Gut gekühlten und frischen Müller-Thurgau gibt es auch. Das allerdings gehört zum gehobenen Standard der Brandenburgischen Sommerkonzerte. Das Ungewöhnliche ist die Möglichkeit, in Luckau neben dem Leib auch seine Seele laben zu können. Nach dem Konzert ist das Publikum aufgefordert, selbst zu musizieren. Es gibt Jahr für Jahr ein Abendliedersingen und, das ist der Hauptspaß, es wird stets kundig dirigiert und am Klavier begleitet.

Abschlusskonzert der Deutschlandtour

Aber auch das Konzert selbst war in diesem Jahr außergewöhnlich. Es sang der weithin berühmte Dresdner Kreuzchor; ein Glanzlicht im Kulturleben der Stadt und ein Höhepunkt im Rahmen der Sommerkonzerte. Und selbst für die Kruzianer war dieser Nachmittag ein besonderer. Sie sangen das Abschlusskonzert ihrer diesjährigen Deutschlandtournee. Für einige der Sänger aus dem Abiturjahrgang der Kreuzschule war es gleichzeitig ihr letztes Singen im Verband dieses wunderbaren Chores.

Vielleicht lag es am Bewusstsein dieser Tatsache, dass das gesamte Konzert so besonders unter die Haut ging, dass der Gesang dieser neun- bis 19-jährigen Burschen so ungewöhnlich beseelt erklang. Dem homogenen Klang des Chores, der perfekten Mischung der Stimmgruppen, der Balance zwischen sphärisch körperlosem und herzhaft irdischem Ton des Chores ein Loblied zu singen, ist nichts Neues. Nicht umsonst zählt der Dresdner Kreuzchor zu den internationalen Berühmtheiten in seinem Fach.

Die Sänger begannen mit der Motette „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“ von Heinrich Schütz, dem in Dresden besondere Ehre und Pflege gilt. Von 1617 bis zu seinem Lebensende 1672 war Schütz Kapellmeister der schon damals berühmten Dresdner Hofkapelle. Es scheint, dass Kreuzkantor Roderich Kreile seine Sänger auf das Werk dieses Komponisten ganz besonders eingestellt hat. Das für Schütz typische Verschmelzen und sich gegenseitige Verstärken der kunstvoll geführten Einzelstimmen zu einem tönend sich aufwölbenden Raum gelang ganz besonders beeindruckend. Wie hineinkomponiert in die gotische Hallenkirche mit ihrem großen, aber nicht übermäßigen Nachhall erschienen auch die Motetten seiner stilistisch ähnlichen Zeitgenossen Johann Hermann Schein und Michael Praetorius.

Johann Christoph Bach, ein Mitglied der sogenannten „Arnstädter“ Bach-Linie, komponierte die Motette „Fürchte dich nicht“, in der der Kreuzchor besonders suggestiv Text und Inhalt eines Werkes darzustellen verstand. Eindringlich wurde das Wort „nicht“ wiederholt, ebenso eindringlich erklang der Gedanke der Tröstung durch den kammermusikalisch besetzten Cantus firmus.

Johann Sebastian Bach, genau einhundert Jahre nach Heinrich Schütz geboren, pflegte einen ganz anderen Vokalstil als der in Venedig geschulte Schütz. In Bachs Werk möchte man den kunstvoll verflochtenen Stimmen, den Fugen, Kanons und kontrapunktischen Gebilden aller Art analysierend folgen. Auch das erlaubt der in jeder Hinsicht perfekte Chor, aber die Ähnlichkeit der Stimmen gibt Bachs Musik einen sehr abstrakten Charakter. Im Schlussteil der Motette „Singet dem Herrn ein neues Lied“ auf den Text „Alles was Odem hat, lobet den Herrn“ hört man bei einem Knabenchor grandiose Musik, während ein gemischter Chor dem menschheitlich gedachten „Allem was Odem hat“ tatsächlich näher wäre.

Manch Träne kullerte

Im zweiten Teil mit romantischer Musik und Werken des 20. Jahrhunderts erlebte das Konzert noch einmal eine Steigerung. Max Baumanns „Pater noster“ und „O sacrum convivium“ von Olivier Messiaen sind schöner, als reine Musik unirdisch schwebend, schlechthin nicht vorstellbar. Ernst Peppings „Jesus und Nikodemus“ ist dagegen ein fast szenisch gedachter Dialog mit deutlich voneinander abgehobenen Rollen.

Noch einmal andere Töne ließ der Kreuzchor bei zwei romantischen Werken hören. Die ernste und tiefgründig lebens-pessimistische Motette von Johannes Brahms „Warum ist das Licht gegeben?“ stand in seltsamem Kontrast zu den jungen Sängern, während Christian Theodor Weinligs „Laudate Dominum“ ganz und gar gefühlvollem, romantischem Singen Raum gibt. Keinen unter den etwa 1000 Zuhörern, dem dieser Gesang nicht ans Herz gegriffen hätte, wie den Sängern selbst. Dünnhäutig waren sie an diesem Tag, die sonst so podiumssicheren und konzertroutinierten Knaben und jungen Männer. Mindestens ein Dutzend von ihnen bekam feuchte Augen, ließ den Tränen freien Lauf. Kein Wunder, wenn die Zugabe bei einem solchen Abschied auch noch heißt: „Bleib bei uns, denn es wird Abend werden und der Tag hat sich geneiget.“ Auch im Publikum nestelte man verstohlen nach den Taschentüchern, bevor der Beifall aufbrandete.

Von Irene Constantin

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